Das IT-Know-how und die realisierte Technologie-Infrastruktur müssen Teil des Geschäftsmodells von Unternehmen sein. Denn der knallharte Wettbewerb von Großunternehmen gegen Internetfirmen wird durch den intelligenten Umgang mit IT-Plattformen entschieden. In meinem Plädoyer für mehr IT-Know-how in Unternehmen habe ich Erfolgsfaktoren ausgemacht, wie sich Großunternehmen aus Telekommunikation, Handel und Dienstleistungsbranchen besser für die Zukunft aufstellen.
Wie sich die Corporate IT der Zukunft aufstellen muss
Dementsprechend habe ich fünf Thesen aufgestellt, die ich im weiteren Verlauf des Beitrags näher ausführe:
- Technologie-Infrastruktur als Teil des Geschäftsmodells ansehen,
- strategische Sicherheit vor Kostenoptimierung der Supply Chain setzen,
- Individualentwicklung als Prozess der steten Verbesserung ansehen
- mehr Applikationen selber entwickeln,
- sich durch Open-Source von kommerziellen Software-Anbietern unabhängig machen.
Die meisten Großunternehmen betrachten IT-Infrastruktur als Commodity. Es wird viel ausgelagert, man kauft immer mehr IT Services ein und macht immer weniger selber. Einige Analysten sehen schon das Ende der klassischen IT-Abteilung kommen. Auf der anderen Seite bekommen immer mehr Großunternehmen vermehrt Konkurrenz aus dem Internetlager. Dies dürften Banken und Kreditkartenunternehmen gerade schmerzlich bei Paypal beobachten. Ebenso bekommen die großen Handelsunternehmen immer mehr Druck von Amazon zu spüren. Amazon ist von deutschen Versand- und Handelsunternehmen offensichtlich nicht zu schlagen. Deshalb bin ich der Meinung, dass viele Großunternehmen nicht weniger, sondern mehr und anderes IT-Know-how im eigenen Unternehmen brauchen!
Amazon dominiert nicht wegen der Marktmacht oder dem Preisgefüge, sondern weil Amazon eine hundertprozentige Internet-Company ist. Von der Website bis zu den Logistikprozessen entwickelt und betreibt Amazon alle Plattformen selber. Dieses Know-how hat kein Mitbewerber und führt zu einem riesigen Vorsprung.
Um diesem Trend entgegenzuwirken und nicht abgehängt zu werden, brauchen Konzerne konkurrenzfähige IT-Plattformen. Ich frage mich, ob heute nicht viele klassische Großunternehmen im Kern ein internetbasiertes Technologieunternehmen sein müssten. Worin unterscheiden sich Dienstleister wie Versicherungen oder Banken von Internetunternehmen? Deren Produkte sind größtenteils virtuell und werden in Form von Software abgebildet.
Müsste sich nicht jeder CIO genau anschauen, was Internetunternehmen anders machen als die eigene IT?
IT-Abteilungen großer Konzerne verfolgen bei der Entwicklung ihrer Infrastruktur völlig andere Strategien als erfolgreiche Internetfirmen. Die wichtigen technischen Impulse für hochskalierende Infrastruktur kommen mittlerweile von Unternehmen wie Google, Amazon oder Facebook und nicht von typischen Corporate-IT-Dienstleistern wie IBM oder HP. Warum also sind die IT-Strategien so unterschiedlich?
Schauen wir uns die strategischen Unterschiede im Detail an und reden darüber warum die meisten Firmen die Strategien von Internetunternehmen nicht übernehmen.
Unterschiedliche Zielsetzungen von Corporate IT und Internetunternehmen
Konzerne und Internetunternehmen verfolgen völlig unterschiedliche Zielsetzungen in Bezug auf die Entwicklung ihrer IT-Infrastruktur. Die Corporate IT ist sehr stark von Konsolidierung und Outtasking bestimmt, während Internetunternehmen von Skalierung, Performance, Kontrolle und Verfügbarkeit getrieben sind.
Bei Internetunternehmen ist die IT-Infrastruktur zentraler Bestandteil der Produktionsplattform oder auch Teil des eigentlichen Produktes für den Kunden. Damit wird Performance und Zuverlässigkeit der Infrastruktur zu einem wichtigen Teil der Produktqualität. Aus diesem Grund fließen Investitionen und Innovationen größtenteils in die Entwicklung einer optimalen Hard- und Softwareinfrastruktur und das nicht nur nach Profitabilitäts-Gesichtspunkten, sondern mit Fokus auf Skalierbarkeit, Zuverlässigkeit und Flexibilität. Bei Internetunternehmen ist der Anreiz eine immer bessere und leistungsfähigere Infrastruktur zu entwickeln sehr hoch, da diese Teil des Geschäftsmodells ist.
Durch den Innovationsdruck werden viele Assets selber entwickelt und das Kern-Know-how im eigenen Unternehmen aufgebaut. In der Corporate IT sind die Schwerpunkte anders gesetzt. Eines der größten Themen der letzten zehn Jahre ist die Konsolidierung und Vereinheitlichung der Gesamtinfrastruktur. Mit Sicherheit auch dadurch bedingt, dass die meisten Konzerne nicht primär organisch wachsen, sondern regelmäßig andere Unternehmen übernehmen. Dadurch entsteht zwangsläufig ein großer Hard- und Softwarezoo. Durch die sich rasant entwickelnden Technologien rund um die Virtualisierung wurden in den letzten 20 Jahren zuerst Storage, dann die Server und Clients virtualisiert und zentralisiert. Dies spart in allen Ebenen Personal und Kosten. Allerdings führt diese Erfahrung der letzten Jahre dazu, dass auf Managementebene Konsolidierung und Kosten zu den Hauptzielen geworden sind. Performance, Skalierbakeit und selbst Verfügbarkeit stehen dahinter zurück. Dazu kommt die Tendenz der letzten 15 bis 20 Jahre, dass immer mehr ausgelagert wird und viele Themen nicht mehr zur Kernkompetenz gehören. Es etablieren sich Modelle bei denen die Corporate IT immer weniger eigene Infrastruktur betreibt, sondern vielmehr die Zulieferer managed.
Als weiteren Verstärker der Outsourcing-Tendenz sehe ich die Vermeidung von Verantwortung und persönliche Risiken im mittleren Management. Wenn nach der Auslagerung von IT Prozessen zu einem Großanbieter, wie beispielsweise IBM oder HP Probleme auftauchen, bleibt das in der Regel ohne Konsequenzen für das Management (ja wenn das selbst IBM nicht hinkriegt, was soll man da machen). Probleme nach einer Umsetzung im eigenen Haus, können für das verantwortliche Management ungemütlich werden.
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Standardsoftware oder Individualentwicklung
Die große Mehrheit der klassischen Großunternehmen setzt in fast allen Bereichen auf Standardsoftware. Häufig werden im Unternehmen die Prozesse an diese Software angepasst. Der Klassiker ist da SAP®. Es ist schlicht zu aufwändig oder teilweise unmöglich eine Standardsoftware exakt auf die individuellen Prozesse im Unternehmen anzupassen. Also werden die Unternehmensprozesse an die Software angepasst. In manchen Bereichen ist das sinnvoll. Eine Individualentwicklung im Rechnungswesen ist mit Sicherheit nicht sinnvoll, denn hier gibt der Gesetzgeber im Großen und Ganzen den Rahmen vor. Über individuelle Prozesse sind in diesem Bereich kaum Wettbewerbsvorteile zu erzielen.
Zurück zum Amazon-Beispiel aus der Einleitung: Handelsunternehmen setzen meiner Erfahrung nach auf kommerzielle E-Commerce-Plattformen, die dann angepasst werden. Doch kein Unternehmen hat eine solche Kontrolle über die Weiterentwicklung des Kerngeschäfts wie Amazon. Wenn man das Know-how für die Entwicklung der Verkaufsplattform im eigenen Haus oder bei eng an das Unternehmen gebundene Dienstleister hat, kann man auf jede Erfahrung, die man im Geschäft macht, mit einer Optimierung der Abläufe und der Plattform reagieren. Das ermöglicht einen Prozess der stetigen Verbesserung aller Abläufe. So ein Kaizen getriebener Prozess wird allerdings abrupt gestoppt, wenn man die Plattform nicht frei weiterentwickeln kann, sondern von der Entwicklung eines Produktes durch einen Software-Hersteller abhängig ist.
Bei Banken und Versicherungen verhält es sich sehr ähnlich. Alle Geschäftsprozesse sind über die IT-Plattformen abgebildet und immer mehr Prozesse verlagern sich in das Internet. Aus diesem Grund entwickeln die meisten Internetunternehmen die zentralen Applikationen für das Kerngeschäft individuell und optimieren diese ständig.
Entwickeln oder entwickeln lassen?
Internetunternehmen tendieren dazu möglichst viel selbst zu entwickeln, um das Know-how rund um die Produkte und Dienstleistungen im eigenen Haus zu halten, denn sie wollen bei Kernkomponenten nicht von Dienstleistern abhängig sein.
Ein Grund dafür sind sicher auch die hochprofitablen Geschäftsmodelle von Unternehmen wie Google, Facebook, oder ebay. Sie können es sich schlicht leisten. Deshalb steht bei ihnen strategische Sicherheit vor Kostenoptimierung durch eine Supply Chain. Überraschend ist, dass große Internetunternehmen abseits ihres Kerngeschäfts sogar Basistechnologien wie Dateisysteme, Datenbanken, Hardware, RZ Technologien selber entwickeln.
Dass klassische Großunternehmen im Gegensatz dazu stärker zur Vergabe von Entwicklungsprojekten nach außen tendieren hat zwei Gründe:
- Erstens halten die meisten Unternehmen Softwareentwicklung nicht für ihre Kernkompetenz und lagern diese seit langem aus. Dementsprechend sind auch keine internen Ressourcen dafür vorhanden.
- Zweitens sind Industrieunternehmen gewohnt mit vielen Zulieferern zu arbeiten und über die Supply-Chain Kosten zu optimieren.
Projektmanagement Methoden
Auch bei den Projektmanagement Methoden unterscheiden sich traditionelle Konzerne von den Internetunternehmen. Während die Internetunternehmen getrieben durch die Softwareentwicklung von agilen Methoden wie Scrum oder Kanban beeinflusst sind, arbeiten die meisten IT-Abteilungen traditionell mit dem Wasserfall-Modell: Analyse, Pflichtenheft, Umsetzung, Abnahme und dann Regelbetrieb. Agile Methoden zielen dagegen eher auf einen iterativen Ansatz der ständigen Verbesserung und der Weiterentwicklung.
Der Einsatz von Open Source im Unternehmen
Natürlich entwickeln auch Internetunternehmen nicht alles selber. Auffällig ist, dass auch sehr große Internetunternehmen viel Open-Source-Software einsetzen, obwohl sie sich auch die in der Corporate IT beliebten IBM- oder Oracle-Produkte leisten könnten. Wenn die Kosten keine Rollen spielen, was könnte der Grund für diese strategische Vorgehensweise sein?
Open-Source-Software bietet, gerade bei einer großen Entwickler-Community den Vorteil der Unabhängigkeit von einzelnen Herstellern. Durch die offene Struktur von Open-Source-Projekten lässt sich frei entscheiden, wie viel internes Know-how im Unternehmen aufgebaut wird. Von einer reinen Nutzung mit zugekauftem Support bis zur aktiven Teilnahme an den Projekten mit eigenen Entwicklungen ist vieles möglich. Aus der Perspektive des Betriebs von Infrastruktur bietet Open-Source-Software die Möglichkeit bei der Fehlersuche bis auf die Codeebene hinunter zu gehen, ohne auf einen kommerziellen Support angewiesen zu sein. Gerade bei kritischen Plattformen, ist es sehr frustrierend, wenn ein wichtiger Dienstleister seine SLAs bricht und man selber außer auf einen Rückruf zu warten absolut nichts tun kann. Gerade bei kommerzieller Software, bei der das Tiefen-Know-how nicht so weit verbreitet ist wie z. B. bei Microsoft oder Oracle, ist es sehr schwer Workarounds zu finden, wenn der Support oder der Dienstleister versagen. Bei Open-Source-Produkten sind in der Regel große Wissensdatenbanken im Internet verfügbar, in denen man alle bekannten Fehler mit Workarounds findet, oder man kann direkt Kontakt zu der Entwicklergemeinde aufbauen.
Die Corporate-IT denkt genau umgekehrt und versucht so viel Verantwortung und damit indirekt auch Know-how für ihre Plattformen auszulagern und präferiert kommerzielle Software mit Supportverträgen. Ähnlich wie bei der Frage auslagern oder selber machen, sichert sich natürlich auch der einzelne Entscheider damit ab. Für Probleme mit Unternehmen wie SAP, IBM oder Microsoft wird niemand gefeuert, für Probleme mit einer Open-Source-Software schon.
Die Beurteilung von Risiken in Projekten wird von der Corporate IT dann nach Aktenlage entschieden. Hersteller X garantiert mir in einem SLA 99,99 Prozent Verfügbarkeit, Hersteller Y 99,5 usw. Nur, was passiert wenn die Hersteller diese SLAs nicht einhalten? Je größer der Hersteller, desto weniger. Meistens also gar nichts. Um Missverständnisse zu vermeiden: Es gibt sehr viel tolle kommerzielle Software und die kann problemlos produktiv eingesetzt werden. Es geht mir nur darum die Risiken aufzuzeigen und zu erklären, warum in der Internet-IT Open-Source-Software so beliebt ist.
Ein weiterer Grund für den Einsatz von Open-Source-Software ist die Möglichkeit, auf der vorhandenen Basis eine eigene angepasste Lösung zu entwickeln. Da Internetunternehmen häufig vieles selber entwickeln, wird das gerne genutzt. In der Corporate-IT weniger, da auch weniger Entwicklungsressourcen vorhanden sind.
Fazit: Internetunternehmen sind Vorreiter
Es ist offensichtlich, dass Unternehmen aus der Dienstleistungs-, Telekommunikations- oder Handelswelt sich besser für die Zukunft aufstellen können, wenn sie einige Methoden der Internetunternehmen übernehmen. Da aber viele Unterschiede in der DNA der Unternehmen liegen, muss der Anstoß zum Wandel von ganz oben kommen. Nur der Vorstand (es ist zu hoffen, dass der CIO Teil des Vorstands ist) kann die Unternehmenskultur ändern und die Türen für neue Methoden öffnen. Das mittlere Management in der IT muss motiviert werden, mehr Verantwortung zu übernehmen, eigenes Know-how in den Abteilungen aufzubauen und auch mal ergebnisoffene Projekt zu wagen, flexibler zu budgetieren und vieles mehr.
In den Worten von Jeff Bezos, dem Gründer von Amazon klingt das dann so: „If you never want to be criticized, for goodness‘ sake don’t do anything new.“