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Die tückische Komplexität von Nachhaltigkeit

27. Februar 2017 von Thomas Wittbecker

Herausforderung Nachhaltigkeit

In den letzten 10 Jahren ist das Thema Nachhaltigkeit zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Es spielt sowohl in der Politik, als auch bei den Bürgern und Unternehmen eine immer größere Rolle. Das öffentliche Interesse für Nachhaltigkeit geht weit über das an Umweltschutz- und Friedensbewegungen hinaus. Beide Themen waren in den letzten 30 Jahren von Bedeutung. Dabei betreffen Überlegungen zur Nachhaltigkeit jedes Unternehmen sowie jeden Einzelnen.

Doch warum ist das so? Warum interessieren sich heute so viele Menschen für nachhaltige Produktion, Ernährung und so weiter? Der Grund liegt meiner persönlichen Einschätzung nach darin, dass unsere Wirtschaftsordnung einige Mängel aufweist. Ob wirklich das Ende des Neoliberalismus naht, wie es unter anderem in der ZEIT hieß, sei mal dahingestellt. Aber ein Wandel ist mit Sicherheit im Gange.

Gesellschaft trägt die indirekte Kosten der neoliberalen Wirtschaftsordnung

Das große Problem der neoliberalen Wirtschaftsordnung besteht darin, dass indirekte Kosten, die bei der Produktion von Gütern entstehen, für die Gesellschaft einfach sozialisiert werden. Beispiele sind Umweltverschmutzung, Gesundheitsrisiken oder allgemeine Risiken. Die Gewinne werden dagegen privatisiert.

Folgende Beispiele illustrieren das Problem

Für die gesundheitlichen Folgen von Feinstaub kommen nicht die Emittenten auf. Stattdessen tragen der einzelne gesundheitlich Betroffene und die Allgemeinheit die Kosten. Letztere finanziert die entstehenden Langzeitfolgen. Ein aktuelles Beispiel ist Volkswagen. Aus Gründen der Gewinnmaximierung wurden die eigentlich notwendigen Investitionen zur Reduktion der gesundheitsgefährdenden Feinstaubemission nicht getätigt.

Ähnlich verhält es sich bei der Nahrungsmittelproduktion. Minderwertige Lebensmittel schaden unserer Gesundheit. Die Langzeitfolgen trägt die Allgemeinheit.
Selbst bei der Atomkraft ist das so. Müssten Atomkraftwerke genauso versichert werden wie normale Industrieanlagen, wäre Atomstrom nie günstig gewesen. Auch hier sind die Risiken auf die Gesellschaft umgelegt.

Diese Beispiele lassen sich endlos fortsetzen. Sie betreffen auch das von mir mitgegründete Unternehmen ADACOR. Obwohl wir uns um Nachhaltigkeit bemühen, legen wir indirekte Kosten, wie Umweltbelastungen, wahrscheinlich ebenfalls auf die Allgemeinheit um.

In den letzten Jahren ist dies immer mehr Menschen bewusst geworden. Sie denken über langfristig funktionierende Lösungen nach, bei denen keine oder weniger indirekte Kosten für die Allgemeinheit entstehen. Zentraler Punkt sind dabei Regelungen, die unser wirtschaftliches Handeln betreffen.

Nachhaltigkeit braucht die richtigen Gesetze

Um es ganz klar zu sagen: Ich argumentiere keinesfalls gegen die freie Marktwirtschaft. Diese ist nicht das Problem. Es geht vielmehr um die Spielregeln des Marktes. Den Begriff der freien Marktwirtschaft habe ich übrigens nie verstanden. Märkte sind und waren nie frei. Es gab in der Historie immer Regeln, die den Markt erst definieren. Ohne diese würde Marktwirtschaft gar nicht funktionieren. Das können Gesetzte oder Gepflogenheiten unter Kaufleuten sein. Schon in der Antike gab es Regeln, die dafür sorgten, dass der Verkäufer sein Geld und der Käufer die richtige Ware bekamen. Sonst hätte es damals keinen Handel gegeben.

Auch in der neoliberalen Wirtschaftsordnung gibt es eine Unmenge von Gesetzen, die den Markt definieren. Die zukünftige Herausforderung für den Gesetzgeber (also die Politik) besteht vor allem darin, die richtigen Gesetze für die Definition des Marktes zu erlassen. Ziel sollte es dabei sein, die Welt nachhaltiger zu machen und die Allgemeinheit nicht für die Kosten der Gewinne mancher Unternehmen aufkommen zu lassen. Das ist eine große Herausforderung für uns alle und insbesondere für uns als Unternehmer.

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Die tückische Komplexität von Nachhaltigkeit

Wie schwierig das allerdings in der Praxis ist, zeigt uns zum Beispiel die deutsche Energiepolitik. Nach dem Reaktorunglück in Fukushima hat die Politik festgelegt, dass die Risiken der Atomenergie zu groß sind und den Ausstieg beschlossen. Die Nebeneffekte wurden jedoch nicht bedacht. Sie führten dazu, dass der Kohlestrom gegenüber den relativ emissionsarmen Gaskraftwerken an Bedeutung gewann. Dies resultierte in einem höheren CO2-Ausstoß. Wiegen nun die geringeren Umweltrisiken durch weniger Atomstrom den vermehrten CO2-Ausstoß auf? Das ist eine schwierige Rechnung.

Beispiel Abwrackprämie

Die vom Staat gezahlten Prämien für spritsparende Fahrzeuge verdeutlichen die Problematik besonders gut. Die Gesamtökobilanz von Autos wurde dabei überhaupt nicht in die Betrachtung einbezogen: Der Kauf eines neuen Autos, obwohl das alte noch intakt ist, verbessert die Gesamtökobilanz überhaupt nicht. Ein großer Teil der CO2-Emission entsteht bei der Herstellung eines Autos. Verursacht wird er von hunderten Unternehmen, die daran beteiligt sind. Das gleichen die paar Liter Sprit, die dann in Zukunft gespart werden, bei Weitem nicht mehr aus.

Beispiel erneuerbare Energien

Noch schwieriger wird es bei den erneuerbaren Energien. Allgemein wird angenommen, dass Energie aus Wasserkraft immer nachhaltig ist. Allerdings lässt das Beispiel Hoover Damm Zweifel an diesem Glauben aufkommen: Nach 80 Jahren zeigen sich so katastrophale ökologische Auswirkungen, dass es sehr fraglich ist, ob der Bau eine besonders gute Idee war. Von den großen Projekten in China, die gerade entstehen, ganz zu schweigen. Fakt ist: Auch erneuerbare Energien haben ihren Preis. Wind-, Wasser- oder große Solarkraftwerke stellen ebenfalls Eingriffe in die Natur dar. Wie diese sich langfristig auswirken, ist momentan schwer abzuschätzen.

Diese Beispiele zeigen, wie komplex das Thema ist. Wir denken zum Beispiel zurzeit darüber nach, ob und wann eine Umstellung auf E-Autos sinnvoll ist. Das ist allerdings in Anbetracht der aktuellen Situation des deutschen Energiemarktes schwer zu entscheiden, vor allem unter dem Aspekt, dass ein großer Teil der CO2-Belastung im Herstellungsprozess entsteht. Allerdings kann es eine positive Signalwirkung haben, die Umstellung auf E-Mobilität zu unterstützen, um langfristig Abgasemissionen im Automobilverkehr abzuschaffen sowie auf eine umweltverträgliche Stromproduktion zu setzten. Schließlich ist klar, dass fossile Brennstoffe keine langfristige Zukunft haben. Und je schneller wir umweltverträglichere Alternativen etablieren, desto besser. Eine schwere Entscheidung ist es dennoch.
Außerdem sollte uns allen bewusst sein, dass (Achtung Klischee!) ein bildungsferner Langzeitarbeitsloser, der noch nicht einmal seinen Müll trennt, einen deutlich kleineren CO2-Footprint hat als der umweltbewegte Autor dieses Textes. Gerade wir weitgereisten, weltoffenen Bildungsbürger haben aufgrund unseres Lebensstils einen relativ großen CO2-Footprint. Und da helfen leider auch die Wärmepumpe im Keller, die Solarzellen auf dem Dach und der Tesla vor der Tür nicht wirklich.

Was können wir tun?

Ich habe intensiv über die Nachhaltigkeit meines Lebens und die eventuellen Kompromisse nachgedacht, die ich bereit wäre einzugehen. Wenn wir alle im Rahmen unserer Möglichkeiten und Kompromissfähigkeit unser Leben verändern würden, wären die Auswirkungen so gering, dass es nur ein Tropfen auf den heißen Stein wäre. Ich glaube nicht, dass es realistisch ist, unser Konsumverhalten und unseren Lebensstil auf ein Niveau von vor 50 oder 100 Jahren zu reduzieren, um einen messbaren Effekt zu erzielen.

Meine ganze Hoffnung beruht darauf, dass die rasante technologische Entwicklung es schafft, relativ schnell saubere Energie zur Verfügung zu stellen – einschließlich der notwendigen Infrastruktur zu deren Nutzung. Das wäre für mich ein klares Argument dafür, die E-Mobilität schnell voranzutreiben, obwohl die Energiewirtschaft in Deutschland noch nicht so weit ist. Das würde zumindest den Druck erhöhen. Erst wenn saubere Energie in großen Dimensionen zur Verfügung steht, geht der CO2-Verbrauch in der Produktion zurück. Und das hat dann wirklich einen großen Effekt.

Am wichtigsten ist, dass wir uns immer vor Augen halten: Für komplexe Probleme gibt es keine einfachen Lösungen, auch wenn weltweit immer mehr Politiker diesen Eindruck erwecken wollen. Die beschriebenen Beispiele zeigen, dass die Auswirkungen von neuen Technologien sehr komplex sind und in Bezug auf die Gesamtbilanz schwer zu beurteilen.

Verantwortung ist für uns ein wesentlicher Bestandteil unserer Unternehmenspolitik. Bei uns im Unternehmen engagieren wir uns intensiv für einen nachhaltigen Geschäftsbetrieb und dokumentieren unsere Maßnahmen zur Nachhaltigkeit regelmäßig mit unserem Nachhaltigkeitsbericht.
Jeder muss natürlich für sich selbst entscheiden, aber mein Eindruck ist, dass exzessive Mülltrennung (und ja, ich trenne auch), Bio-Wahn, Veganismus und so weiter alles Dinge sind, die wir eher für uns tun, als für die Umwelt. Mehr erreichen wir, wenn wir uns für die Forschung und Entwicklung der fehlenden Technologien einsetzen und uns für Gesetzte engagieren, die den Markt in die richtige Richtung lenken.
Für mich ist die Aussage, dass es für komplexe Probleme keine einfachen Lösungen gibt, eine der wichtigsten Dinge, die ich in all den Jahren gelernt habe. Daraus folgt für mich und ADACOR, dass Bildung ein Kernelement unserer Zukunftsstrategie sein muss. Deshalb konzentriert sich ADACOR beim sozialen Engagement auf die Bildung von Kindern. Unserer Ansicht nach ist das eine eindeutig nachhaltige Investition in die Zukunft. Denn nur eine Menge sehr gut ausgebildete junger Menschen kann den Fortschritt so schnell und weit vorantreiben, dass wir zu einer nachhaltigen Lebensweise kommen, ohne auf unseren Wohlstand zu verzichten.

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