Unternehmen sind gefordert, ganzheitlicher in Services zu denken und haben unter dem Begriff Service Management mit dem Framework ITIL eine weltweit erprobte Prozesssammlung gebrauchsfertig zur Verfügung. Das meint unser Gastautor Michael Kresse, Geschäftsführer der internationalen Managementberatung SERVIEW. Er sieht darin eine große Chance, um Unternehmen erfolgreich auf Zukunftskurs zu bringen. Im Artikel beschreibt er, warum IT und Business mit ITIL immer mehr zusammenwachsen können – zum großen Vorteil für beide.
Geräte wie Heizungen und Rollos lassen sich heute remote mit Smartphones regulieren. Musik wird gestreamt. Zeitungen werden auf dem Tablet gelesen. Diese Beispiele illustrieren die aktuellen Entwicklungen, die Unternehmen aller Branchen betreffen: Kunden erwarten funktionierende Dienstleistungen. IT ist zunehmend an Services beteiligt und wird dadurch ein immer größerer Bestandteil unseres privaten und beruflichen Umfelds. Für Unternehmen heißt das: Sie müssen ihre Services managen. Vor diesem Hintergrund müssen Business und IT mehr zusammenwachsen, um sich erfolgreich für die Herausforderungen der Zukunft zu wappnen.
Meine Thesen sind in diesem Zusammenhang:
- Das ursprünglich für das IT Service Management (ITSM) entwickelte Framework ITIL ist auf alle Business-Bereiche außerhalb der IT übertragbar und kann deshalb von diesen für das Managen sämtlicher Dienstleistungen genutzt werden.
- Es ist ausreichend, den IT-Begriff aus IT Service Management rauszunehmen und das Business mit dem Begriff Service Management (mit ITIL) zu adressieren. Neue Begriffe wie Enterprise Service Management (ESM) oder Business Service Management (BSM) verwirren nur und bringen kaum praktischen Mehrwert.
- Das Business braucht den Mut, sich gegenüber Entwicklungen aus der IT zu öffnen und diese für sich zu nutzen.
- Die IT muss den Mut haben, sich als Dienstleistung zu begreifen und den eigenen Mehrwert zu kommunizieren.
IT Service Management als Vorreiter für das Business
Services zu managen ist seit jeher ein zentraler Bestandteil der IT Service Organisation. IT Service Management basiert nach meinem Verständnis auf einer grundsätzlichen kundenorientierten Einstellung: Die IT Service Organisation stellt Dienstleistungen bereit, die den internen oder externen Kunden, einen wirklichen Mehrwert liefern. Voraussetzung dafür ist die Kenntnis der Prozesse, die für das reibungslose Erbringen von Services notwendig sind: Die einzelnen Unternehmen haben Wichtigkeit, Abläufe und Schnittstellen ihrer IT-Prozesse betrachtet und für sich dokumentiert. Mitte der 80er Jahre wurden die grundlegenden IT-Prozesse in England dokumentiert und als Best Practices im Rahmen des Frameworks ITIL zur weltweiten Nutzung zur Verfügung gestellt. Vorwiegend innerhalb der IT genutzt, hat sich ITIL in den vergangenen Jahrzehnten bewährt und sich zu einem weltweit anerkannten Framework mit Schulungen und international anerkannten Zertifikaten entwickelt. Zahlreiche Tools und Software-Produkte basieren auf den ITIL-Prozessen.
Aus meiner Sicht eignet sich ITIL perfekt, auch außerhalb der IT genutzt zu werden:
Im Kern geht es um das erfolgreiche Managen von Prozessen, ganz gleich, in welchem Bereich. Egal, ob HR, Finance oder Support-Bereiche.
Das heißt, es gibt eine Schnittstelle zum Kunden, die Dienstleistung an sich sowie Störungen und Veränderungen. Für all das bietet das Framework ITIL eine praxiserprobte Orientierung und Grundlage – eine Art Straßenverkehrsordnung. Ursprünglich entwickelt für die IT, aber prinzipiell auf jegliche Prozesse übertragbar.
ITIL goes beyond IT: Service Management
Eine der wesentlichen aktuellen Herausforderungen besteht darin, dieses Prozesswissen bzw. dessen Vorhandensein außerhalb der IT im Business bekannt zu machen. Dass es außerhalb der IT nichts Vergleichbares gibt, lässt tatsächlich einen Bedarf und eine Offenheit für ein solches Framework vermuten. Genau darin besteht die Krux: Das Business hat weitgehend eine enorme Skepsis gegenüber der IT – und gegenüber ihren Tools und Frameworks. Versuche, diese Vorbehalte zu umgehen, resultieren derzeit in vielfältigen Wortschöpfungen wie zum Beispiel Enterprise Service Management (ESM) oder Business Service Management (BSM). Der Inhalt ist jedoch immer IT Service Management mit ITIL.
Getrieben wird diese Entwicklung von Software-Herstellern. Namhafte Firmen wie HP und SAP haben ganze Tools auf der Basis der ITIL-Prozesse gebaut. Viele Ticketing-Tools, Service-Desk-Tools etc. sind daraus entstanden – sie existieren jeweils unter den entsprechenden Produktnamen. Diese Firmen erkennen jetzt das riesige Potenzial außerhalb der IT. Sie versuchen Abteilungen wie HR und Finance mit Business-affinen Bezeichnungen zu adressieren. Würden diese Firmen stärker betonen, dass ihre Tools und Software eigentlich auf ITIL beruhen, könnten sie meines Erachtens die Entwicklung hin zum Service Management inhaltlich wesentlich vorantreiben.
Auch bei SERVIEW haben wir die verschiedenen alternativen Begriffe und Möglichkeiten diskutiert – und getestet. Das Ergebnis: Ein Begriff wie Enterprise Service Management ist und bleibt unklar. Die Frage nach dem Unterschied zu ITSM und ITIL steht permanent im Raum. Sie kann nicht zufriedenstellend beantwortet werden, da es inhaltlich eben nicht wirklich einen Unterschied gibt. Vermutlich ist das der Grund für die zögerliche Nutzung der Angebote unter dem Namen Enterprise Service Management.
Aus diesem Grund plädiere ich für die weitere Nutzung von ITIL mit dem Hinweis, dass es sowohl für die IT als auch für jeden anderen Bereich, der seinen Kunden funktionierende Dienstleistungen zur Verfügung stellen möchte, ein wertvolles Framework ready to use ist: eben Service Management.
Service Management als Entwicklungschance für Unternehmen
Das Fokussieren auf Service Management bietet Unternehmen eine große Chance. Dabei ist die Idee natürlich ganz und gar nicht neu. Auch früher haben Unternehmen Dienstleistungen – also Services – angeboten. Allerdings entwickelte jedes Unternehmen seine eigenen Prozesse und dokumentierte sie. Das hieß Prozessmanagement.
Neu ist die Geschwindigkeit, mit der sich Unternehmen heute durch das Anbieten von Services weiterentwickeln können. Unter anderem durch das Aufkommen der Smartphones sind die Möglichkeiten zum Anbieten von Services immens gestiegen. Im Endeffekt liefern Unternehmen ihren Kunden etwas, das sie managen und steuern müssen: Sie betreiben Service Management. Dafür steht ein erprobtes Framework zur Verfügung: ITIL.
Die Öffnung von ITIL in Richtung Business spiegelt sich jetzt auch in der Originalliteratur wider. Beinhaltete diese in der Vergangenheit noch relativ viele IT-nahe Begriffe sowie Praxisbeispiele aus der IT, ist der IT-Begriff in der letzten Version bereits weitgehend verschwunden. Stattdessen wird der Begriff Service Management verwendet, nicht Enterprise Service Management. Das trifft für die Original-Prüfungsunterlagen momentan noch nicht ganz zu. Ich bin überzeugt, dass sich dieser Prozess in der nächsten Zeit fortsetzen wird. Das heißt, die IT-Begriffe werden in der nächsten Zeit aus Schulungs- und Prüfungsunterlagen verschwinden. Verbunden ist damit die Hoffnung, dass es dem Business dadurch leichter fällt, sich mit ITIL zu beschäftigen und es einfach als Framework für Services zu sehen und zu nutzen.
Service Management als Chance für die IT
Ein Gespenst, mit dem IT-Abteilungen in den letzten Jahren zunehmen zu kämpfen hatten, heißt Outsourcing. Hintergrund ist auch hier das beschriebene allgemeine Akzeptanz-Problem der IT im Business. Service Management mit ITIL bietet auch vor diesem Hintergrund für die IT eine große Chance: Es gilt für sie, zu verstehen, dass es auch außerhalb der IT Services gibt. Das heißt, ITIL-Know-how ermöglicht ihnen, Karriere außerhalb der IT zu machen und im Business zu arbeiten. Sobald die IT sich selbst als Vorreiter begreift, ist sie mit Service Management und ITIL gut gewappnet für die folgenden aktuellen Herausforderungen.
Transparenz und Nachhaltigkeit
Die IT existiert seit jeher in dem Spannungsfeld zwischen Wichtigkeit und Kostenintensität. Allerdings hat sie es in der Vergangenheit weitgehend versäumt, ihren Mehrwert nachzuweisen, zum Beispiel über aussagekräftige Kennzahlen. Hier besteht akuter Nachholbedarf. ITIL bringt die notwendige Transparenz, die das Business braucht, um den erzeugten Mehrwert zu erkennen – und zum Beispiel Outsourcing-Entscheidungen zu überdenken.
Governance und Management
Die klare Unterscheidung zwischen Governance und Management einer IT-Organisation meint eine klare Trennung zwischen der Bewertung, Überwachung und Steuerung sowie dem tatsächlichen Betrieb der IT. Letzteres kann sehr gut mit ITIL abgedeckt werden. Für die Governance gibt es teilweise andere Frameworks, die hier besser geeignet sind.
Sourcing und Provider Management
Die IT braucht eine klare, übergreifende Sourcing-Strategie. Basis ist das Wissen um die von den Kunden erwartete Service-Qualität sowie ein Plan, wie diese garantiert werden kann. Ganz gleich, ob die Dienstleistungen selbst erbracht oder eingekauft werden, aus meiner Sicht brauchen alle Beteiligten – einschließlich der Zulieferer – eine klare Absprache darüber, wie der Service für den Kunden aussehen soll. Das heißt, alle am Service Beteiligten haben das gleiche Ziel.
Für all diese Herausforderungen bietet ITIL praxiserprobte Prozesse. Diese im Rahmen des Service Managements anzuwenden, setzt allerdings neben fachlichen Fähigkeiten auch persönliche voraus.
Leadership und Soft Skills gewinnen an Bedeutung
Mitarbeiter im IT-Umfeld müssen zwar weiterhin ihre Fachthemen beherrschen, werden daran jedoch nicht mehr so stark gemessen. Vielmehr sind sie zunehmend gefordert, das Business ihrer Kunden zu verstehen und mit diesen zu kommunizieren: Was sind deren Kernprozesse? Wie wichtig sind sie? Welche Prozesse müssen reibungslos funktionieren bzw. was heißt es für den Kunden, wenn sie nicht funktionieren.
Die zweite Anforderung sind Führungsfähigkeiten:
„Es braucht noch viel mehr extrovertierte Menschen, die mit dem Kunden auf deren Ebene kommunizieren und ihn unterstützen, besser Geschäft zu machen.“
Natürlich besteht weiterhin auch Bedarf an IT-Experten. Wichtig ist jedoch eine Organisation, in deren Rahmen die Experten ihre operative Arbeit machen können, sodass sie nicht an Kunden-Schnittstellen eingesetzt werden.
Zu bedenken ist außerdem der Fakt: Reines Technikwissen kann theoretisch von Maschinen oder billigen Arbeitskräften in Niedriglohnländern immer viel günstiger übernommen werden. Outsourcing ist in diesem Sinne einfach nicht aufzuhalten. Dem aus dem Weg zu gehen bedeutet, sich in die Tätigkeitsbereiche zu entwickeln, die nicht outgesourct werden können: Das ist das Führen, Managen und Leiten von Kunden. Insofern ist die oft vorherrschende Angst in IT-Abteilungen vor ITIL auch eine Angst vor Transparenz. Sie ist verbunden mit der Anforderung bzw. Notwendigkeit, sich weiterzuentwickeln, sich von den technischen Inhalten zu lösen und in die Führungsrolle zu kommen.
Der Weg ist klar – der Name ist es (noch) nicht
Fakt ist aus meiner Sicht: IT und Business werden zukünftig stärker zusammenwachsen und gemeinsam mehr auf das Managen von Services fokussieren. Die Frage ist nur: Unter welchem Begriff. Ich sehe da im Moment noch keine richtige Antwort. Aus geschäftlicher Sicht existiert der Begriff ITIL weltweit in der IT und beginnt gerade erst, außerhalb der IT ein Begriff zu werden. Es existieren zahlreiche Software-Lösungen, die sich darauf spezialisiert haben, die ITIL-Ideen umzusetzen – sprich, sie sind ITIL-konform – und es gibt weltweit durchgeführte Ausbildungen.
Aus meiner Sicht ist die Einführung des Begriffes vor allem von aktiennotierten Firmen getrieben, die mit einem auf das Business ausgerichteten Begriff vor allem eines beabsichtigen: Die Aktionäre zufriedenzustellen bzw. zu überzeugen. Allerdings ist das meines Erachtens eher eine theoretische Überlegung, die wenig mit der Praxis zu tun hat. Zwischen 300.000 bis 400.000 Teilnehmer verzeichnen ITIL-Ausbildungen pro Jahr. Das ist eine gewaltige Marktmacht, die die Einführung eines neuen Begriffs wie ESM wenig sinnvoll macht.
Wichtig ist, dass der Begriff sowohl das mit ITIL und Service Management bereits vertraute IT Management abholt – als auch das Business. Wir haben deshalb für SERVIEW entschieden, zukünftig unter „Management und Methoden“ unter anderem Service Management mit ITIL anzubieten. Wir sagen damit: ITIL gilt für die gesamte Welt – inklusive der IT.
Bei der Entscheidung hat auch das Suchverhalten im Web eine wesentliche Rolle gespielt:
„Gesucht wird ITIL – nicht Service Management, nicht ESM, nicht BSM.“
Die gleiche Erfahrung haben wir mit Zertifikaten gemacht: Ein ESM-Zertifikat will niemand haben, aber ein weltweit akzeptiertes ITIL-Zertifikat ist gefragt.
Ich bin davon überzeugt, dass ITIL seinen Siegeszug fortsetzen wird. Und die Praxis gibt mir bislang recht: Als ITIL aufkam, wurde es von vielen als Hype abgestempelt. Mittlerweile bieten es sogar Universitäten an. Die Ausbildungszahlen sind zwar weltweit etwas gesunken – das lag jedoch aus meiner Sicht vor allem an der Vereinheitlichung der Gebühren, die für einige Regionen einen signifikanten Anstieg bedeutete. In Deutschland steigen die Zahlen leicht an, sie sind also mehr als stabil. Das bedeutet, dass die grundsätzliche Marktentwicklung noch nicht außerhalb der IT angekommen ist. Für mich gibt es jedoch keinen Grund, warum das nicht passieren sollte – und da ist am Ende der Name egal.
Fazit: ITIL ist und bleibt für die IT ein bewährtes Framework
Ganz gleich, welcher Begriff sich letztendlich durchsetzen wird, mein Wunsch ist: Bleibt bei ITIL und erklärt, dass es sowohl für die IT als auch für jeden anderen Bereich, der seinen Kunden funktionierende Dienstleistungen zur Verfügung stellen möchte, ein bewährtes und umfassendes Framework ist. Ich plädiere also für den Mut, mit ITIL auch das Business zu adressieren und immer wieder zu erklären: Es ist Service Management für jede Art von Dienstleistung.
Unser Gastautor
Michael Kresse, ist Gründer und Geschäftsführer der SERVIEW GmbH. Eine unabhängige Managementberatung, die Consulting- und Trainingsdienstleistungen zum Aufbau passgenauer Kompetenzen erbringt.