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Growth Hacking: Interview mit Hendrik Lennarz

1. Oktober 2018 von Katrin Osbelt

Hendrik Lennarz - Growth Hacker

Hendrik Lennarz – Growth Hacker

„Growth Hacking“ ist seit einigen Jahren ein viel verwendetes Buzzword in der Marketing-Szene. Hendrik Lennarz ist Growth Hacker. Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sich der Wirtschaftsinformatiker mit dem Aufbau von Growth-Hacking-Umgebungen für Start-ups, kleine und mittelständische Unternehmen sowie Konzerne. Das beinhaltet die agile Transformation ganzer Organisationen ebenso wie die Entwicklung innovativer Produkte und die erfolgreiche Einführung digitaler Business-Modelle in die Märkte. ITQ sprach mit Hendrik Lennarz über Wachstum, Wandel und Geschwindigkeit in Unternehmensorganisationen. Lässt sich Wachstum systematisch „hacken“?

Hallo Hendrik, was ist Growth Hacking?
Betrachten wir doch einfach die einzelnen Begriffe: Growth steht für Wachstum. Ob Start-up oder bereits etablierte Firma – jedes Unternehmen will wachsen. Alle stehen vor den Fragen: Welche Kampagnen bringen uns nach vorn, welche Ideen zünden, welche Features müssen wir umsetzen, die tatsächlich auf Wachstum einzahlen. Der zweite Begriff „Hacking“ ist in diesem Zusammenhang rein auf die Methode des Trial-und-Error-Verfahrens – also auf Kreativität und Originalität – fokussiert, und hat nichts mit negativen Konnotationen wie beim Kreditkarten-Hacking zu tun. Es geht darum, in Hochgeschwindigkeit Ideen, Kampagnen oder Methoden auszuprobieren, von denen wir meinen, Sie könnten das Wachstum eines Unternehmens vorantreiben, ohne dies vorher definitiv zu wissen.

Heißt das, Strategien entstehen im Gegensatz zu konventionellen Marketing-Planungen erst im Prozess?
Ja und nein – auch Growth Hacking macht eine Strategie-Planung nicht überflüssig. Unternehmen müssen sich natürlich über ihre Ziele klar sein und eine Vorstellung von Zeit- und Maßnahmenoptionen haben. Der Unterschied zu vielen herkömmlichen Umsetzungsprozessen ist jedoch, dass Growth Hacking in kurzen Abständen immer wieder reales Kunden-Feedback einholt und die Strategie dann sofort daran anpasst. Eine monatelange Planung in der Black Box kann sich heutzutage kein Unternehmen mehr leisten. Dafür ändern sich die Anforderungen der Kunden und die Technologien viel zu schnell.

Wie ist Growth Hacking entstanden?
Geprägt hat den Begriff Sean Ellis, ein amerikanischer Unternehmer, Investor und Startup-Coach, der unter anderem für Unternehmen wie DropBox tätig war. Er war der erste, der die Hacking-Skills auf das Unternehmensmarketing angewendet hat. Besonders bei einem Start-up kommt es ja darauf an zu wachsen – wenn ein neu gegründetes Unternehmen im ersten Jahr nicht wächst, stirbt es. Aber auch Corporates und etablierte Unternehmen kommen immer wieder an einen Punkt, wo ihr Wachstum stagniert oder sogar rückläufig ist beziehungsweise wo das Wachstum nicht mehr den Erwartungen entspricht, trotz immer größer werdender Organisationen oder gesättigten Kundenbedürfnissen. Da hilft es, sich zurückzubesinnen, wie ein Start-up sich nun verhalten würde. Start-ups haben in der Regel wenig Geld, kaum Zeit und beschränkte Personal-Ressourcen, Marketingstrategien umzusetzen. Aber mit Kreativität und Flexibilität und Ausprobieren können sie ans Ziel gelangen. Diesen „Spirit“ in einem Unternehmen zu wecken – darum geht es beim Growth Hacking.

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Wie bist du selbst zum Growth Hacking gekommen!
Ich habe als Angestellter zehn Jahre lang die Firma „Trusted Shops“ mit aufgebaut. Wahrscheinlich war ich schon Growth Hacker, bevor es den Begriff gab. Denn in dem jungen Unternehmen musste und durfte ich alles tun, was dem Wachstum diente. Ich kann Programmieren, ich habe betriebswirtschaftliche Expertise und Marketingerfahrung – all das konnte ich in den Ring werfen und habe konzeptioniert, IT- und Produkteinführungsprojekte sowie den Internationalisierungsprozess begleitet. Einen „Titel“ oder eine „Stellenbeschreibung“ für meine Tätigkeiten gab es nicht. Vor etwa sieben Jahren habe ich dann auf einem amerikanischen Start-up-Blog einen Artikel gelesen, wo es um Growth Hacking ging. Da dachte ich: ‚Ach, das ist also das, was du tust!‘
Dann hast du also begonnen, dich als Experte für diese Methode in Deutschland selbst in Szene zu setzen?
Genau. Ich habe einen Blog aufgebaut, ein Buch geschrieben und hunderte Vorträge gehalten. Aktuell baue ich meine eigene Consulting-Firma weiter aus.

Was bietest du Unternehmen an?
Ich biete in verschiedenen Städten ein offenes Growth Hacking Boot Camp an, das Interessierte aus unterschiedlichen Unternehmen buchen können – ein sehr praxisorientiertes Format, das an nur einem Tag und anhand vieler anschaulicher Beispiel vermittelt, wie ein Growth-Hacking-Prozess funktioniert. Zudem laden Unternehmen mich ein, mit ihnen gemeinsam die Prozesse in ihrem Unternehmen zu analysieren und Growth-Hacking-Konzepte für ihre Organisationsstruktur zu entwickeln. Außerdem bin ich für Großkonzerne tätig, die Innovation-Teams ins Leben gerufen haben, um flexibler am Markt agieren zu können. Der Trend nimmt zu, intensiv mit Start-ups zusammenzuarbeiten, um sich so Zugang zu neuen Technologien und Trends zu verschaffen. Damit diese Kooperationen nicht an völlig unterschiedlichen Arbeitsweisen, Unternehmenskulturen und Interessen scheitern, bringe ich allen Beteiligten die Philosophie des Growth Hackings nahe.

Ist denn Growth Hacking für jedes Unternehmen geeignet?
Growth Hacking ist für Unternehmen, bei denen die Digitalisierung das Geschäftsmodell bestimmt oder deren Existenz ohne digitale Transformation bedroht wäre, die ideale Methode, da es um schnelle Skalierbarkeit geht. Aber prinzipiell ist die Methode für jedes andere Unternehmen ebenfalls anwendbar. Denn auch Unternehmen, die klassische Produkte herstellen oder Dienstleitungen anbieten, können in der Regel nur überdurchschnittlich wachsen, wenn sie Marketing- und Vertriebswege online nutzen.

Gibt es einen definierten Growth-Hacking-Fahrplan für Unternehmen?
Der Prozess ist sicherlich immer derselbe, wie die abgebildete Grafik zeigt. Die einzelnen Umsetzungsschritte sind aber individuell von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Wichtig ist, sich ein Ziel zu setzen und erst einmal anzufangen, auch wenn noch nicht alle Details definiert sind. Das ist ähnlich, wie beim Gang ins Fitness-Studio oder der Vorbereitung auf den Marathon. Einmal ist kein Mal.

Einfach anfangen – das hört sich leichter an als es ist. Was wären denn die ersten Schritte?
Ideal ist es, mit einem Workshop zu starten – mit einem Team, das von der Idee, in dieser Form zu arbeiten, begeistert ist. Das sind später die Influencer im eigenen Unternehmen. Dann geht es an die Umsetzung: Es ist hilfreich, drei Dinge mit höchster Priorität zu definieren, die als erstes umgesetzt werden sollen. Das Team einigt sich gemeinsam auf diese Ziele und entwickelt eine Road-Map. Am nächsten Morgen geht es direkt los – keiner kann sich herausreden, er hätte die Entscheidung nicht mitgetragen. Alle im Team müssen sich der neuen Methodik öffnen, schnell handeln und begeistern im Idealfall weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen.

Unternehmen brauchen also ein wenig Mut und auch Durchhaltevermögen?
Mutlose Unternehmen sind meiner Ansicht nach immer zum Scheitern verurteilt. Und Durchhaltevermögen benötigen die Entscheider in den Unternehmen nicht in dem Sinne, dass sie starr einen einmal abgesteckten Weg beschreiten ohne nach rechts und nach links zu schauen, sondern in dem sie sich immer wieder auf den Prüfstand stellen, in dem sie ständig reflektieren, was richtig und was falsch wahr und wo es Optimierungsbedarf gibt.

Welches Ziel wird mit der Methode verfolgt?
Wachstum – aber nicht Wachstum um jeden Preis, sondern ein gesundes Wachstum. Das ist wie bei der Kindererziehung. Natürlich gibt es verschiedene Pädagogiktheorien, unzählige Ratgeberbücher und eine Menge Verwandte und Freunde, die gute oder gut gemeinte Ratschläge parat haben, aber am Ende ist der Weg, wie ein Kind gesund und froh groß wird individuell sehr unterschiedlich. Da gehört auch viel Trial-and-Error dazu, und immer wieder müssen wir Idealvorstellungen über Bord werfen oder neue Wege wagen. Auch der Zeitraum, in dem Unternehmen ihr gestecktes Ziel erreichen, kann sehr unterschiedlich sein. Es ist doch egal, ob ein Kind drei Monate eher als andere Kinder laufen kann. Wichtig ist, dass es am Ende selbstständig läuft.

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Kannst du uns ein Beispiel aus der Praxis erläutern, wie Growth Hacking ein Unternehmen erfolgreicher gemacht hat?
Ich habe kürzlich ein Unternehmen aus der Gesundheitsbranche beraten, das sich auf physiotherapeutische Anwendungen gegen Rückenschmerzen spezialisiert hat und in der Branche sehr erfolgreich ist. Das Unternehmen begann, einmal in der Woche ein YouTube-Video mit Übungen gegen Rückenschmerzen zu veröffentlichen. Die Videos erreichten immense Klickzahlen und generierten eine Menge News. Ein Team von elf Leuten arbeitete schließlich an dem sehr erfolgreichen YouTube-Kanal. Nur in die Gewinnzone kam das neue Unternehmenssegment nicht. Am Ende unseres Growth Hacking Workshops stand fest, dass ein zusätzlicher E-Mail-Newsletter bei dem Kundenkreis, den das Unternehmen eigentlich erschließen wollte, den richtigen Erfolgskick gebracht hat. Erst nur eine Idee. Aber durch die High-speed-Umsetzung des Teams dann schon nach zwei Wochen ein echter Growth Hack.
Ein anderes Unternehmen, das Growth Hacking wirklich sehr erfolgreich praktiziert, ist ein Buchhaltungsdienstleister, der nicht nur in der Produktentwicklung, sondern auch im Marketing extrem agil agiert. Die probieren einfach rasend schnell aus, was am Markt funktioniert und was nicht, und wachsen so förmlich automatisch.

Hast du einen Leitsatz, der das Growth Hacking charakterisiert?
Ob ich selbst disruptiere oder disruptiert werde, hängt davon ab, wie schnell ich meine Ideen umsetzen kann.

Lieber Hendrik Lennarz, vielen Dank für das Gespräch!

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